Maul­körbe dienen dazu, Hunde vom Beißen abzu­halten. Sie schnüren die Schnauze zu. Trinken und atmen kann der Vier­beiner zwar, doch zuschnappen, das kann er nicht. Spre­chen könnte ein Hund auch ohne Maul­korb nicht, er ist ja ein Hund, wes­halb Maul­körbe von den Besit­zern nicht mit der Absicht ange­legt werden, Wort­äu­ße­rungen zu ver­hin­dern. 

Anders bei Fuß­bal­lern. Sie beißen selten, spre­chen dafür ungleich mehr. Manchmal bereuen sie das Gesagte, was dazu führt, dass sie sich immer öfter selbst einen Maul­korb ver­passen. Auch das ist ein Unter­schied zum Hund, der sich nie­mals selbst die Kiefer zusam­men­drahten würde, aber er kennt ja auch keine Reue und führt ein ins­ge­samt über­sicht­li­cheres Leben.

Glück­li­cher Hund, armer Fuß­baller: Alles muss er selbst machen, sogar sich selbst den Mund ver­bieten. Damit ist eine neue Qua­lität in der Beschrän­kung der Rede­frei­heit erreicht: die Selbst­zensur.

Wurden unlieb­same Äuße­rungen früher mit Extra-Zir­kel­trai­ning oder geringen vier­stel­ligen Buß­gel­dern sank­tio­niert, haben die Strafen heute solche Sphären erreicht, dass sie pro­phy­lak­tisch wirken: Keiner sagt mehr was, weil er weiß, wie viel das kosten kann – ein Rei­hen­haus, einen Sport­wagen, selbst die top­be­zahlten Profis kann das schmerzen. 

Lahm spricht, Rum­me­nigge bestraft

Nachdem Bayern-Kapitän Philipp Lahm im Herbst via »Süd­deut­sche Zei­tung« seine Bosse harsch kri­ti­siert hatte, belegten diese ihn mit einer ver­eins­in­ternen Rekord­strafe. Es sei ein abso­lutes Tabu, in der Öffent­lich­keit Kritik gegen den Klub, den Trainer und Mit­spieler zu äußern, so hieß es. »Gegen diese klare Absprache hat Philipp ver­stoßen«, don­nerte Karl-Heinz Rum­me­nigge. »Wir sind ent­täuscht, weil er als stell­ver­tre­tender Kapitän hier eigent­lich eine beson­dere Ver­ant­wor­tung für die Mann­schaft und den Klub trägt.« Wie er diese Ver­ant­wor­tung wahr­nehmen soll, ohne frei spre­chen zu können, ver­riet Rum­me­nigge indes nicht. Was bleibt, ist eine vage Weg­be­schrei­bung in Rich­tung Unmün­dig­keit. 

Hertha BSC ging sogar noch weiter. Der Verein ent­ließ den unlieb­samen Trainer Lucien Favre gleich noch mal, nachdem dieser nach seiner Beur­lau­bung im Sep­tember 2009 auf eigene Faust eine inhalt­lich eigent­lich harm­lose Pres­se­kon­fe­renz gegeben hatte (»Der Verein hat die Tren­nung von Dieter Hoe­ness nicht ver­kraftet. Dieser Umstand hat meine Arbeit erschwert.«) – diesmal for­mal­ju­ris­tisch, was eine Gehalts­fort­zah­lung in Mil­lio­nen­höhe ein­sparen könnte. Stutt­garts streit­baren Keeper Jens Leh­mann traf es ähn­lich hart. Nachdem er die Tren­nung von Team­chef Markus Babbel moniert hatte, fand er eine Abmah­nung im Brief­kasten – den Vor­boten einer Ent­las­sung. 

Dabei ver­hielten sich Lahm, Favre und Leh­mann kei­nes­wegs destruktiv. Sie waren um Ana­lyse bemüht und – trotz emo­tional auf­ge­la­dener Atmo­sphäre – recht sach­lich. Den­noch erfuhren sie: Offen­heit kann teuer werden.

Allent­halben haben die Akteure das ver­in­ner­licht. Die Mann­schaft von Borussia Dort­mund legte sich vor zwei Jahren gleich im Kol­lektiv den Maul­korb an. Als Reflex begegnet uns die Selbst­zensur in den Inter­view-Phrasen »Das müssen andere ent­scheiden« und »Da müssen sie den Trainer fragen«. Ja, gut, äh… aber wenn man den dann fragt, sagt er auch nix – wegen Maul­korb. Der Vor­wurf der »ver­eins­schä­di­genden Äuße­rung« lähmt die Lippen. 

Bered­sames Schweigen bzw. nur Schweigen. Beides gleich schlimm. So kommt die Frage auf, ob diese Männer mit der Ver­trags­un­ter­schrift ihr Recht auf freie Rede an ihren Arbeit­geber abge­treten haben, der diese dann als »Außen­dar­stel­lung« ver­wurstet. Schon in den unteren Jugend­ab­tei­lungen beginnt heut­zu­tage die Leis­tungs­dia­gnostik, was dazu geführt hat, dass wir Spieler mit so herr­lich asym­me­tri­schem Kör­perbau wie »Ente« Lip­pens, Wolfram Wuttke oder Pierre Litt­barski nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie werden schlicht aus­sor­tiert. Nun ist zu befürchten, dass die tan­nen­ge­rade gewach­senen Modell­ath­leten, die uns noch bleiben, auch noch spre­chen wie Roboter. Ein so herr­lich schrul­liges Buch wie »Anpfiff« von Toni Schu­ma­cher ist längst nicht mehr denkbar, und selbst Lothar Mat­thäus‘ Inter­views ver­misst man schmerz­lich. Ach. 

Jüngstes Bei­spiel: Mesut Özil. Unlängst hatte er dem Fach­ma­gazin »Kicker« noch ver­raten: »Mir geht es um die sport­liche Per­spek­tive. Ich möchte später nicht sagen, ich hätte eine große Chance ver­passt. Es ist klar, dass ich Cham­pions League spielen möchte.« Ein Traum, den er mit jedem teilt, der auch nur einen eini­ger­maßen sau­beren Pass zustande bringt. Doch jetzt der Maul­korb, selbst ange­legt: »Ab sofort werde ich mich nicht mehr zu meiner Ver­trags­si­tua­tion äußern«, so Özil schüch­tern. Genau genommen, hatte er das bis­lang ja auch nicht getan. Nur ein biss­chen öffent­lich geträumt. Im Zeit­alter von Markt­werten und Divi­denden ist selbst das wohl schon zuviel. 

Tröst­lich ist einzig eine Nach­richt, die uns aus Berlin erreicht: »Maul­korb­zwang bei Möpsen nicht durch­setzbar!« Ihnen sind die han­dels­üb­li­chen Zwing­ge­stelle ein­fach zu groß. 

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